In der kleinen Borkwalder Waldkirche ist es gemütlich warm. 20 Einwohner haben sich zum Auftakt der Leseaktion zusammengefunden. Sie sind neugierig auf das für dieses Jahr ausgewählte Buch: „Der Trafikant“ von Robert Seethaler.
Stefan Penzel begrüßt die Anwesenden und berichtet, dass sich die Organisatoren der Veranstaltungsreihe wohl noch nie so schnell und so einhellig auf ein Buch verständigt hätten. Darüber hinaus verweist er auf drei Neuerungen, die mit der inzwischen immerhin fünften Aktion „Borkwalde liest EIN Buch“ einhergehen:
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Stefan Penzel
Erstmals wurde kein Buch eines skandinavischen Autors ausgewählt. Das entsprach dem Wunsch einiger Teilnehmer. Die Organisatorengruppe will das in diesem Jahr ausprobieren. Im nächsten Jahr wird neu entschieden.
- Das Programm wurde deutlich gestrafft. Weniger Veranstaltungen. Nur ca. ein Monat. Der Kulturverein erhofft sich, dass dadurch das gemeinsame Erlebnis deutlicher sichtbar wird.
- Zum ersten Mal gibt es mit unserer Bürgermeisterin, Renate Krüger (LINKE) eine Schirmherrin.
Vorstellung des ausgewählten Buches
Nach deren Grußwort (siehe Box) führten Stefan Penzel in den Autor und Karin Luther in das Buch ein. Heribert Heyden und Monika Augele lesen zwei charakteristische Stellen aus dem Buch vor. Zum einen die „Arbeitsplatzbeschreibung“ eines Trafikanten unter besonderer Berücksichtigung der Notwendigkeit des Zeitungslesens:
„Die Zeitungslektüre nämlich sei überhaupt das einzig Wichtige, das einzig Bedeutsame und Relevante am Trafikantendasein; keine Zeitungen zu lesen hieße ja auch, kein Trafikant zu sein, wenn nicht gar: kein Mensch zu sein. Aber natürlich könne man unter einer richtigen Zeitungslektüre nicht einfach nur das flüchtige Durchblättern eines oder vielleich zweier armseliger Tageblättchen verstehen. Eine richtige weil eben Hirn und Horizont gleichermaßen erweiternde Zeitungslektüre beinhalte alle sich auf dem Markt (also auch in der Trafik) befindlichen Zeitungen, wenn schon nicht von vorne bis hinten, so doch zumindest zu einem größeren Teil, was da heiße: Aufmacher, Leitartikel, die wichtigsten Kolumnen, die wichtigsten Kommentare sowie die wichtigsten Meldungen aus Politik (Innen und Außen), Lokales, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport, Kultur, Gesellschaft und so weiter.“
Zum anderen einen Brief der Mutter des Haupthelden, in dem sie ihrem Sohn über die schleichenden Veränderungen im Alltag auf dem Land berichtet, die mit der Machtergreifung der Nazis in Österreich einhergehen.
Eröffnungsrede von Renate Krüger
Bürgermeisterin und Schirmherrin von „Borkwalde liest EIN Buch 2016″
Borkwalde hat Dank des Kulturvereins eine kleine Tradition:
Wir lesen ein Buch hier im Ort, lesen es und sprechen darüber und über das, was uns rund um das Thema so einfällt und berührt. Es ist eine Aktion, bei der es nicht nur um die Lust am Lesen geht. Vielmehr ist es wichtig, gemeinsam etwas zu tun, gemeinsam lesen und reden. Es bereichert das eigene Leben, lässt uns über den eigenen Gartenzaun schauen und öffnet unser Herz für den Menschen neben uns.
Was ist daran so wichtig oder das Besondere:
Wir engagieren uns gemeinsam für etwas, ein Thema, eine Sache, die mal kleiner oder mal größer ist. wir stellen dabei fest, dass wir gemeinsam ganz gut vorankommen, Gedanken und Ideen kennenlernen, auf die wir vielleicht selbst nicht gekommen wären. Wir lernen, uns besser zu verstehen und wir überlegen, uns vielleicht auch neuer, anderer Aufgaben und Ziele anzunehmen.
Das ist wichtig für Borkwalde. Denn was im Kleinen richtig ist, kann im Großen nicht falsch sein. Nur zusammen können wir vorankommen.
Wenn wir es wollen, gestalten wir unseren Ort kinderfreundlicher, sauberer, kulturvoller. Es liegt an uns. Gemeinsam schaffen wir es, Borkwalde attraktiv zu machen, für uns, die wir hier wohnen und für die, die wir als Nachbarn hinzugewinnen wollen. Gemeinsamkeit und Miteinander ist somit auch für jeden Einzelnen bedeutsam.
Als Linke bin ich überzeugt, dass der Mensch zuerst ein gesellschaftliches Wesen ist, das nur mit anderen und durch andere leben kann.
Für die diesjährige Leseaktion wurde ein Buch herausgesucht, dass meiner Meinung nach auch aus einem anderen Grund wichtig ist. Der Autor beschreibt in einer wunderbaren Erzählweise das normale Leben, wie es von Menschen vor rund 80 Jahren gelebt wurde. Und ich stellte fest: Da werden Geschehnisse und Entwicklungen beschrieben, die uns auch heute, in der einen oder anderen Frage, nicht ganz fremd sind, und nicht nur Gutes bedeuten. Sie werden im Buch gar nicht so in den Mittelpunkt gerückt, aber sie sind da. Sicherlich funktionieren Gleichsetzungen nicht, aber mich beschleicht schon mitunter beim Erleben der Gegenwart die Erinnerung an das, was ich aus der Zeit von 1938 erfahren habe.
Sicherlich geht es nicht hauptsächlich um Politik. Es geht um Kunst, um Sprache, um Geschichten, um Kultur. Am damaligen Kulturhaus „Hans Marchwitza“ in Potsdam stand 45 Jahre lang im Foyer in bronzenen Lettern der Ausspruch von H. Marchwitza:
„Kultur ist jeder zweite Herzschlag unseres Lebens“. Heute ist er im Depot des „Potsdam-Museums – Forum für Kunst und Geschichte“ verschwunden. Hier, in Borkwalde, füllt ihn der Kulturverein mit Leben. Vielen Dank dafür.
In diesem Sinne begrüße ich die Aktion sehr. Unser Ort liest EIN Buch. Lesen Sie mit. Lassen Sie uns gemeinsam darüber reden. Heute und bis zum Ende der Aktion am 4. März und gern auch darüber hinaus.
Traditionell verbindet unsere Leseaktion in der Auftaktveranstaltung den geistigen Genuss mit dem kulinarischen. Da der Roman vor allem in Wien spielte, gibt es dieses Mal Kaiserschmarren. Lecker!

Diskussion „Damals und heute“
In einer kleinen Diskussion geht es schließlich um die politische Bedeutung des Buches heute. Michael Luther führt dazu einleitend in die Zeit um 1938 ein, in der das Buch spielt. Er schildert die politischen Ereignisse, die den Hintergrund für die Handlung im Buch bilden, in dem sich scheinbar nebenbei die Situation der Protagonisten verändert.
Er schilderte die Rolle des im Buch so betitelten „Zwergen“ Dollfuß und seines Lehrlings Schuschnigg sowie den „Anschluss“ Österreichs. Die geplante Volksabstimmung wurde durch die deutschen und östereichischen Nazis verhindert.
Im zweiten Teil seiner Einleitung in die Diskussion bekennt Michael Luther, dass er viele Ähnlichkeiten zwischen heutigen und damaligen Entwicklungen sieht. Ähnlichkeiten, die ihm Sorge und Angst machten.
Diese Haltung wird von den Anwesenden geteilt, die sich dann zu Wort melden. Damals wie heute werden Sündenböcke gesucht, damals die Juden, heute die Flüchtlinge. Heute wie damals nehmen der Hass und die Spaltung der Gesellschaft rasant zu. Heute wie damals versagen die großen Parteien darin, die Interessen weiter Teile der Bevölkerung entweder zu integrieren oder diese von ihren Positionen zu überzeugen.
Doch für Fatalismus gibt es keinen Anlass. Es gibt durchaus auch hoffnungsvolle Ansätze. Viele Menschen engagieren sich. Am wichtigsten, so scheinen die Anwesenden sich einig zu sein, am wichtigsten sei es, miteinander zu reden. Darauf, dass das gelingen könne, verwies Andreas Trunschke an einem konkreten Beispiel auf der Seite von „Brück hilft“ (siehe die 61 Kommentare zu dem kleinen Artikel Etwas Aufregung um einen kleinen Streik).
Hier können Sie sich die Bücher ausleihen:
- Bücherzelle FRIDA
- Bibliothek im Jugendraum
- Siedlerstuben
- Arztpraxis Schröder
Die nächsten Veranstaltungen
- Besuch des Jüdischen Museums in Berlin, Samstag, 27.2.16, Treffpunkt 9:45 Uhr auf dem Bahnhof Borkheide
- Abschlussveranstaltung, Freitag, 04.04., 19:00 Uhr in den Siedlerstuben.